Mittwoch, 23. Juli 2014

Traum, Krankheit und Tod

Seance

[…] Bei den Guajiro wird das Träumen als Vagabundieren der Seele verstanden. Krankheit wird als ihr verlängertes Herumirren gesehen und der Tod als ihre definitive Abreise. Alles was man träumt, geschieht in der Seele wirklich.

Traum, Krankheit und Tod werden also in einer Kontinuität gedacht. Die meisten schamanischen Kulturen habe ein ähnliches dreifaches Krankheitsverständnis.

  1. Mangel: Ein vitales Prinzip ist abhanden gekommen (z.B. die psychische Energie oder das Bewusstsein während einer Ohnmacht), der Schamane muss eine Seelensuchreise unternehmen (Endorzismus);
  2. Intrusion, etwas Feindliches ist in den Körper eingedrungen, der Schamane saugt es aus (Exorzismus)
  3. ein Durcheinander, eine innere oder äußere Ordnung ist gestört, z.B. Tabuverletzung. 
Dieses dreifaches Krankheitsverständnis scheint in unserem kollektiven Unbewussten sogar in unserer Sprache noch latent vorhanden sein: Wir sagen

im 1. Fall: Jemanden fehlt etwas;
im 2. Fall: Jemand hat etwas
im 3. Fall: Jemand ist nicht zuwege, allemanisch: nid zwäg, d.h. vom Weg abgekommen, nicht in Ordnung.

Im ersten und zweiten Fall wird in den meisten schamanischen Kulturen von Hexerei ausgegangen. Hexen oder feindlichen Schamanen rauben Seelen oder töten durch magische Projektile, die in den Körper des Opfers eindringen.

Das ist nicht etwa nur Aberglaube; Chaumeil berichtet von einem magischen Zeikampf zwischen verfeindeten Schamanen der Yagua. Ihre unsichtbaren Pfeile, die im Magen aufbewahrt werden. Der unterlegene Rivale starb auf der Stelle.

Wenn Schamanen bei erkrankten Menschen solchen Schadenzauber aussaugen, dann materialisiert sie ihn meist und spucken ihn aus. Nun müssen sie aber noch den Absender ausfindig machen, sonst wird der Patient nicht gesund. […]

Source: Schamanismus und Traum, Susanne Elsensohn, Diederichs Gelbe Reihe
Kapitel: 1. DER TRAUM IM KULTURELLEN UMFELD DES SCHAMANENTUMS || Das Traum- Krankheitsverständnis [S.25]