Dienstag, 9. Februar 2010

Schamanismus und Traum - Einleitung (6)

Ihre Deutung geschieht durch den Lebenszusammenhang und die Assoziationen des Träumers und kann entweder auf der Objekt- oder Subjektstufe erfolgen. Träume ich etwas von meiner Schwester, so kann dies auf der Objektstufe gesehen, mit der wirklichen Schwester und meiner Beziehung zu ihr zu tun haben.

Auf der Subjektstufe dagegen geht Jung davon aus, dass unbewusste Inhalte projiziert werden, und fasst deshalb die verkommenden Figuren als Persönlichsanteile des Träumer auf: Die handelnde Person im Traum sind dann unserer personifizierten Komplexe. (Damit sind wir schon ganz nahe bei den Geistern, darauf werde ich später zurückkommen).

Diese Regulierung des psychischen Gleichgewichts gilt natürlich auch für Kollektives. Da Schamanen für das Wohl und das Heil ihrer Gruppe verantwortlich sind, werden sie in ihren Träumen besonders davon betroffen.

Träume können neben der kompensatorischen auch eine prospektive Funktion haben, indem sie in die Zukunft weisen, Lösungsmöglichkeiten für Probleme skizzieren und Prognosen stellen, was nicht mit Prophetie verwechselt werden darf. Prophetische Träume sind viel genauer, sie sind eine besondere Spezialität der Schamanen.


Die Träume aus dem kollektivem Unbewussten nennt Jung >> Große Träume <<. Sie treten oft in schicksalsentscheidenden Abschnitten des Lebens auf wie etwas in der frühen Kindheit, Pubertät, der Lebensmitte oder vor dem Tod. Es kommt vor, dass sie einen ganzen Lebensplan enthalten oder etwas, das die ganze Gruppe angeht. Sie sind aus dem gleichen Stoff wie die Mythen und die Märchen. Solche Großen Träume werden wir besonders bei der Berufung zum Schamanen und bei der Initiation antreffen.


Durch die Auseinandersetzung des Bewusstseins mit den Inhalten des Unbewussten wird eine Veränderung, eine Entwicklung möglich, in der wir zu dem werden, was wir im Grund wirklich sind. Jung nennt das Individuationsprozess, der im Unbewussten angelegt ist und sein Ziel sucht, indem er in uns eine Sehnsucht nach dem Eigentlichsten erzeugt (Jung 1928, §434 f. und 11945, § 530m ff.).