Der Schamane ist der Vermittler zwischen der Gruppe, der er angehört, und den jenseitigen Mächten, seien es nun Geister oder Gottheiten. Diese Vermittlung geschieht in einem veränderten Bewusstseinszustand, worin er Kunde über Krankenheilung, Jagd, über drohendes Unheil usw. bekommt und sie zum Nutzen seiner Gruppe anwendet.
Wenn nötig, muss er Jenseitsreisen unternehmen, um verlorene Seelen zu suchen. Diese Fähigkeiten gewinnt er in der Erfahrung der Initiation, in der er sich den Jenseitsmächten unter Lebensgefahr aussetzten muss.
Besteht er diesen rituellen Tod, so wird er wiedergeboren. Die Krankheitsgeister und Dämonen die ihm zugesetzt haben, werden dabei zu seinen Hilfsgeistern, mit denen er heilen kann und die sich auch nach verlorenen Seelen aussenden lassen. Was es damit auf sich hat, dass Seelen abhanden kommen und wie das mit Träumen zusammenhängt, erfahren wir im ersten Kapitel.
Diese schamanische Heilungsverständnis, nach dem man nur heilen kann, was man selber bestanden und überwunden hat, unterscheidet sich grundlegend von demjenigen der Schulmedizin.
Leider ist heute der ursprüngliche Schamanismus fast ausgerottet worden, bis auf wenig abgelegene Gegenden, zu denen keine Straße führt, wie etwa einige Dörfer in Nepal, in Tibet oder im Amazonasgebiet. In Sibirien, dem Hauptgebiet des klassischen Schamanismus, haben die Bolschewiken, besessen von der Idee, alles Religiöse auszumerzen, etwa 30 000 Schamanen niedergemetzelt, wobei sie schon zur Zarenzeit drangsaliert wurden.
Die Schamanen der Lappen hatten die allerschönsten Trommeln mit wunderbaren Malereien der kosmischen Sphären auf dem Fell. Hier wüteten die Missionare: Da Trommel das Medium der Trance, das Fahrzeug zu den Geistern ist, nahmen diese Frommen den Schamanen, die Trommeln weg und verbrannten sie. Wer sich weigerte, die seinige herzugeben, wurde ofts gleich lebendig damit begraben.
Auch in Südamerika glaubten die Missionare der Conquistadores durch die Folterung und Hinrichtung von Schamanen gottgefällige Werke zu vollbringen.
Zusammen mit den Missionaren kamen die Segnungen und Auswüchse unserer Konsumgesellschaft zu den Indigenen. Damit brach ihre geistige Ökologie zusammen.
Schamanismus besteht nämlich nie für sich allein. Er ist immer mit den Mythen vom Ursprung und den kosmologischen Vorstellungen (Unterwelt, mittlere Welt, Himmelschichten usw.) einer Ethnie verknüpft, mit deren Gesellschaftsordnung und Lebensgewohnheiten und ebenso mit der Landschaft, den Pflanzen und den Tieren des Lebensraumes.
Wir sind also angewiesen auf die älteren und neueren Forschungen der Ethnologen. Ich werde einiges von ihrem Material hier darstellen und versuchen aufzuzeigen, was vom Umgang der Schamanen mit Träumen zu unseren allgemein menschlichen Möglichkeiten gehört, die wir aktivieren können, und welche Chancen und Gefahren damit verbunden sind.
Trotz der weitgehenden Zerstörung des Schamanismus habe ich nicht übers Herz gebracht, nur in der Vergangenheitsform davon zu erzählen.
Überall, wo es schamanische Vorstellungen und Praktiken gibt, gelten mit wenigen Ausnahmen die Interessen der Ethnologen mehr der Trance als dem Traum. Für die Trance als Verbindung mit den Übernatürlichen braucht es immer bestimmte Techniken, Rituale und oft auch Halluzinogene. Sie findet normalerweise in einem öffentlichen Rahmen statt, bei einer Séance ist immer die ganze Gruppe anwesend. Träume hingegen gehören zur psychischen, Struktur aller Menschen, sie sind an keinen Rahmen gebunden und funktionieren autonom.