Dienstag, 9. Februar 2010

Schamanen und Traum - Einleitung (8)

Diese Völker scheinen intuitiv zu unterscheiden zwischen den zwei Schichten des persönlichen und des kollektiven Unbewussten. Die >> andere Welt << kann man nämlich auch analog zu unserem Unbewussten sehen, ohne dass man damit entscheiden muss, ob es sie auch außerhalb gibt oder nicht.


In räumlicher Hinsicht habe ich das Blickfeld nicht auf Nordasien als das Gebiet des klassischen Schamanismus beschränkt, sonder auch Schamanen und Medizinmänner und -Frauen aus Nord- und Südamerika, Europa, Südasien und Ozeanien einbezogen; vor allem, weil es trotz aller Vielfalt erstaunliche Gemeinsamkeiten gibt, besonders bei den Berufungs– und Initiationsträumen.

Für den Seelenanteil, der das Traumgeschehen erlebt, habe ich bei unseren Träumen den Jungschen Ausdruck >> Traum-Ich << gewählt und bei denjenigen der Indigenen >> Traumseele <<, weil schamanische Kulturen immer von mehreren Seelenanteilen ausgehen.

Für Schamaninnen und Schamanen habe ich, abgesehen von Einzelfällen, vereinfacht nur die männliche Form verwendet, ebenso für Novizinnen und Novizen. Bei den Geistern hatte ich keine Wahl.

Pathways of Life or Focus of Heart or Hidden Soul


Schamanismus und Traum - Einleitung (7)

Ich möchte ein diesem Buch aufzeigen, welche Elemente des Schamanismus unserer Urahnen im kollektiven Unbewussten noch vorhanden sind, und wie sie wirken. Abgesehen von den Träumen findet sich auch einiges davon in den alten Volksmärchen. Sie wurden über Jahrhunderte nur mündlich tradiert und damit durch das Unbewusste zahlloser Erzähler angereichert. Sie gelten daher als die reinste Ausprägung des kollektiven Unbewussten.


Ich habe nur Schlafträume und Träume in schlafähnlichen Zuständen wie etwa Bewusstlosigkeit behandelt, Visionen im Wachzustand aber höchstens am Rande gestreift, wo sei etwa in einen Schlaftraum übergehen oder umgekehrt. Die Trance habe ich nicht berücksichtigt.

In Kulturen mit Schamanentum werden Traum – und Wachvision gleichermaßen ernst genommen, beides gilt als Kontakt mit den Übernatürlichen und wird oft mit dem gleichen Ausdruck bezeichnet

Es wird aber fast überall eine Unterscheidung gemacht zwischen Alltagsträumen und Träumen mit Offenbarungen, die den Träumer tief bewegen oder sich als Vorboten eines Glücksfalles erweisen.

Schamanismus und Traum - Einleitung (6)

Ihre Deutung geschieht durch den Lebenszusammenhang und die Assoziationen des Träumers und kann entweder auf der Objekt- oder Subjektstufe erfolgen. Träume ich etwas von meiner Schwester, so kann dies auf der Objektstufe gesehen, mit der wirklichen Schwester und meiner Beziehung zu ihr zu tun haben.

Auf der Subjektstufe dagegen geht Jung davon aus, dass unbewusste Inhalte projiziert werden, und fasst deshalb die verkommenden Figuren als Persönlichsanteile des Träumer auf: Die handelnde Person im Traum sind dann unserer personifizierten Komplexe. (Damit sind wir schon ganz nahe bei den Geistern, darauf werde ich später zurückkommen).

Diese Regulierung des psychischen Gleichgewichts gilt natürlich auch für Kollektives. Da Schamanen für das Wohl und das Heil ihrer Gruppe verantwortlich sind, werden sie in ihren Träumen besonders davon betroffen.

Spiral & Soul ... Stairs to ...


Spiral & Soul ... Stairs to ...
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Schamanismus und Traum - Einleitung (5)

Für Jung ist der Traum eine spontane Selbstdarstellung der aktuellen Lage des Unbewussten in symbolischer Ausdrucksform.


Jung betrachtet die Träume nicht wie Freud nur als eine Erklärung, die aufzeigt, woher psychische Problem kommen. Für ihn habe sie auch ein finale Funktion und stellen dar, wohin die Entwicklung tendiert. Er deutet sie vorzugsweise im Zusammenhang mit der ganzen Traumserie, in der sie stehen.

Sie könne zwei verschiedene Schichten entstammen: dem persönlichen oder dem kollektiven Unbewusste. Das persönliche Unbewusste ist für Jung das, was Freud unter dem Unbewussten versteht.

Schamanismus und Traum - Einleitung (4)

Im Schamanismus gibt es nun eine besondere Traumkultur: Hier ist der Traum das Devinationsintrument par excellence, und er gilt ebenso wie die Trance als Ort des Kontaktes mit den Geistern. Meist sind Schamanen für ihre Gruppe zentraler Angelpunkt zwischen der wachen Welt und der Traumwelt; sie träumen entweder der stellvertretend für das Kollektiv, oder sie müssen Träume ihrer Leute interpretieren und allenfalls mit rituellen Vorkehrungen darauf reagieren.



Nun treten aber die Träume der Schamanen nicht nur spontan und autonom auf wie die unseren, sie sind oft absichtlich herbeigeführt, und die Schamanen können deren Geschehen willentlich steuern. Wie dies im Prinzip allen Menschen möglich wäre, einige Begabungen vorausgesetzt, werde ich im vierten Kapitel aufzeigen.


Zum besseren Verständnis des geschilderten Traumgeschehens und seiner Relevanz für uns werde ich im Folgenden die Traumtheorie Sigmund Freuds und C.G. Jungs kurz skizzieren.

Schamanismus und Traum - Einleitung (3)

Der Schamane ist der Vermittler zwischen der Gruppe, der er angehört, und den jenseitigen Mächten, seien es nun Geister oder Gottheiten. Diese Vermittlung geschieht in einem veränderten Bewusstseinszustand, worin er Kunde über Krankenheilung, Jagd, über drohendes Unheil usw. bekommt und sie zum Nutzen seiner Gruppe anwendet.


Wenn nötig, muss er Jenseitsreisen unternehmen, um verlorene Seelen zu suchen. Diese Fähigkeiten gewinnt er in der Erfahrung der Initiation, in der er sich den Jenseitsmächten unter Lebensgefahr aussetzten muss.


Besteht er diesen rituellen Tod, so wird er wiedergeboren. Die Krankheitsgeister und Dämonen die ihm zugesetzt haben, werden dabei zu seinen Hilfsgeistern, mit denen er heilen kann und die sich auch nach verlorenen Seelen aussenden lassen. Was es damit auf sich hat, dass Seelen abhanden kommen und wie das mit Träumen zusammenhängt, erfahren wir im ersten Kapitel.

Borders & Boundless ...

Borders & Boundless ...
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Schamanismus und Traum - Einleitung (2)

Ein zweiter Grund für den Verlust der Wurzeln liegt darin, dass wir entweder im Fortschrittsglauben oder in religiöser Verblendung meinen, auf schamanische Kulturen Stammesgesellschaften herabsehen zu können. Das ist eine verächtliche Haltung auch gegenüber unseren eigenen archaischen Schichten.


Es zeigt sich daran, dass viele Autoren für diese Völker den Ausdruck >>die Primitiven<< verwendeten, was bei uns ein Schimpfwort ist.

Diesen Ausdruck möchte ich in dieser Arbeit ersetzten durch >> die indigenen<< oder >>archaische Gesellschaften>>. Wir haben nämlich nur einzelne Hirn-Areale höher entwickelt und dafür andere regenerieren lassen. Diese wiederum sind bei archaischen Völkern und deren Schamanen hoch entwickelt. In gewisser Weise sind daher wir selbst die Primitiven.

Ein dritter Grund für den Verlust unserer Wurzeln ist unsere Art, mit der Natur umzugehen. Damit ist nicht nur das äußere Umfeld gemeint, sondern auch die eigene Natur. Oft überfahren wir beides auf grobe Weise und sind dabei wieder selber die Primitiven. Schamanen hingegen sind eng mit der inneren und äußeren Natur verbunden und ziehen ihre Kräfte aus ihr, wobei sie zwischen beiden Aspekten keine Unterscheidung machen.

Wenn hier von einer Grenze überhaupt gesprochen werden kann so ist sie fließend.


Dieses Buch will nicht von dem Neo-Schamanismus berichten, den Michael Harner in seiner Schamanenschulen in unserer Kultur transferiert hat. Es soll zeigen, wie der ursprüngliche, Jahrtausend alte Schamanismus archaischer Völker mit den Träumen umging und umgeht und was wir, abgesehen von Herners Praktiken, für uns daraus ziehen könne.

Schamanismus und Traum - Einleitung (1)

Der Schamanimus ist viel älter als alle Weltreligionen, er ist so alt wie die Menschheit. Viele Höhlen Malereien aus der Steinzeit stellen schamanische Rituale dar. Wir beschäftigen uns also gleichsam mit unseren eigenen Wurzeln, wenn wir nun unser Augenmerk auf schamanische Träume richten. Viele Menschen haben heutzutage eine große Sehnsucht nach der verlorenen Verbindung mit diesen Wurzeln.


Verloren haben wir sie zum einen durch die einseitige Hochentwicklung des Intellektes. Damit haben wir, etwas vereinfacht gesagt, nur noch unsere linke Gesichtshälfte gebraucht und ganze Areale der rechten außer Betrieb gesetzt. Diese Abstellkammern unserer unbenutzten Möglichkeiten wären zuständig für Gefühle, Intuition, Imagination, die bildhafte, symbolische Art des Denkens, Intuitionen für Irrationales.

Zudem bedient sich unser Intellekt, den ich übrigens nicht verteufeln will, nur der gerichteten Art des Denkens; man fixiert damit einen bestimmten Punkt, den man möglichst scharf sehen will. Es ist das gleiche Prinzip wie bei einem Fernglas:

Der Preis indes, den man für diese Bildschärfe bezahlt, ist ein sehr eingeschränktes Blickfeld.

Dieses Buch will etwas von diesem großen ausgeklammerten Bereich aufzeigen.

Schamanismus und Traum - Cover

Träume spielen im Schamanismus eine überaus wichtige Rolle. Sie sind Brücken zu den Geistern. Wie die Schamanen mit Traumbildern umgehen, dokumentiert Susanne Elsensohn anhand einer Überblickstour zu den verschiedenen schamanisch tätigen Völkern der Welt.


Überdies stellt sie mit Hilfe der Psychologie C. Jung Verbindungen zum westlichen geprägten Leben her: wie ganz ähnliche Träume haben können und wie wir durch die Auseinandersetzung mit der schamanischen Praxis heilend wirken können.

Quelle: "Schamanismus und Traum" von Susanne Elsensohn, Diederichs Gelbe Reihe